Marlies

Alter: 67 Beruf: Im Ruhestand, vorher: Dipl.-Ing. Chemie, Gleichstellungsbeauftragte als Wahlamt an der RWTH Wohnort: Aachen Geburtsort: Recklinghausen

Warum hast du diesen Ort für dein Foto ausgewählt?

Wir sind in der Philosophischen Fakultät der RWTH Aachen, weil sich hier Ende der 80er Jahre Studentinnen dafür einsetzten, dass es für uns Frauen besser werden muss. Die haben hier im Innenhof ein Biwak aufgebaut, um da zu protestieren: Wir müssen präsent sein und das damit kundtun. Zu der Zeit ging bundesweit sowieso eine Bewegung los, die dafür kämpfte, dass unter anderem das Amt der Frauenbeauftragten eingerichtet werden sollte. Das fand ich spannend, deswegen sind wir hier, das ist ein guter Ort hierfür.

Was ist Feminismus für dich?

Ich glaube, dass mein Weg über die Politik war, und würde das auch immer zur Politik gehörig verstehen wollen. Dass ich denke, da muss entsprechend eine Gleichstellung geschaffen werden für die Geschlechter. Deswegen ist Feminismus für mich dort angesiedelt, also nicht so dieses Theoretische, sondern auch das, was dann umgesetzt werden kann. Wichtig ist, dass man beide Geschlechter mitnimmt, also nicht nur von der Frauenseite her radikal auftritt, sondern dass man gemeinsam mit den Männern sagt, wir müssen noch eine Gleichstellung oder Gleichberechtigung zustandebekommen. Und das können nicht wir Frauen alleine, sondern das können wir nur gemeinsam schaffen. Ich glaube, wenn jemand sagt, „du bist Feministin“, das hätte ich nicht gerne gehört. Ich habe das immer als Schimpfwort oder sehr negativ wahrgenommen, wobei ich denke, eigentlich bin ich Feministin. Aber es war trotzdem eher negativ, wie es dann ausgesprochen wurde.

Wie äußert sich dein Feminismus?

Ich bin in einer Partei, in der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen ASF, das sind die Frauen der SPD hier in Aachen. Die hat sich dafür eingesetzt, Frauenbeauftragte der Stadt einzusetzen. Das musste ja auch erst mal alles auf den Weg gebracht werden. Und wir, das waren die damaligen Aktiven, wir hatten uns ein Theaterstück oder Sketch überlegt, und damit sind wir draußen aufgetreten, in der Fußgängerzone. Mit den Sketchen haben wir versucht, den Normalbürger davon zu überzeugen, dass es wichtig ist, dass es eine Frauenbeauftragte in der Stadt gibt. Das war auch so in den 80ern. Das kam gut an. Auch auf der Seite derer, die da beteiligt waren und die das letztendlich wollten. Es ist eine ganz andere Art, etwas zu veranschaulichen, als wenn man nur mit Plakaten herumsteht und etwas fordert. Mir fallen jetzt die Sketche leider nicht mehr ein, aber man konnte daran deutlich machen, wie wichtig es ist, dass da jemand als Befürworterin oder Vertreterin für uns Frauen ist, die man ansprechen kann. Das war etwas aus deren eigenem Umfeld, wo man sagen konnte: „Ja, stimmt doch eigentlich.“ Das wurde den Normalen, die sich sonst nicht dafür interessieren, dadurch deutlicher.

Als Frauenbeauftragte hatten wir nicht von Anfang an Zugang zu den Rektoratssitzungen der Universität. Als die gesetzliche Grundlage geschaffen war, war das trotzdem noch nicht selbstverständlich, man musste das einfordern. Aber ich habe gemerkt, wenn ich Prorektoren oder auch die Leute aus der Verwaltung, meistens waren es zu Beginn auch Dezernatsleiter, wenn ich die nicht überzeugen konnte… Es hätte nichts gebracht, zu demonstrieren oder so, ich hätte damit nichts erreicht. Es musste manchmal etwas lange gefordert werden, bis es dann wirklich umgesetzt wurde. Aber für mich war das eher der richtige Weg, als zu sehr auf die Rechte und das Gesetz zu pochen. Ich weiß von meinen Kolleginnen von der Bundeskonferenz, dass die gesagt haben: „Nee, ich wusste von der Sitzung, da bin ich einfach reinmarschiert!“ Das hätte ich nie gemacht, so ohne Einladung. Auch wenn ich vom Gesetz her das Recht dazu gehabt hätte, aber das empfand ich als kontraproduktiv.
In Nordrhein-Westfalen hatte das mit einem Frauenförderungskonzept angefangen, was in dem Sinne noch keine Gesetzesform hatte, da konnte man erst mal nur auf „Goodwill“ hoffen. Ende der 90er Jahre bekamen wir dann ein Gleichstellungsgesetz, wo dann so was drin festgesetzt war. In Rektoratssitzungen durften wir dann nach zwei oder drei Jahren. Dem Rektorat gehörte ja auch der Kanzler an, der meistens ein Jurist war. Der versuchte dann immer zu sagen: „Was wollen Sie denn als Gleichstellungsbeauftragte in Rektoratssitzungen? Wir haben doch ganz allgemeine Themen, da sind doch nicht Frauen benachteiligt zu sehen.“ Einmal stand auf der Tagesordnung, dass neue Toiletten angeschafft werden sollten. Da wurde dann zum Thema, dass es eine sehr männerorientierte Hochschule ist, so dass mehr Toilettenräume für Männer eingerichtet und die Frauen vernachlässigt wurden. An solch profanen Dingen konnte man dann überzeugen. „Wenn Sie darüber sprechen, ist das auch indirekt für die Frauen wichtig.“
Ich war nicht die erste Frauenbeauftragte, das war damals noch eine Professorin, die aber dann zwei, drei Jahre später emeritiert wurde. Ich war ihre Stellvertreterin und bin dann nachgerückt. Aber dadurch, dass das eine Aufbruchstimmung war und wir viele Projekte angestoßen haben, hat man uns das auch machen lassen. Auch wenn manchmal gesagt wurde, es ist kein Geld dafür da, aber es wurde durchaus wohlwollend gesehen. Und die Sachen, die wir angestoßen haben, laufen noch so weiter. Zum Teil sind sie so verstetigt, dass sie nicht mehr unbedingt im Gleichstellungsbüro oder im Frauenbüro, sondern in der Verwaltung angesiedelt sind. Ich bin der Meinung, dass wir da gute Arbeit gemacht haben und akzeptiert wurden. Bei Veranstaltungen der RWTH, zu der auch Ehemalige kommen, werde ich immer noch ordentlich begrüsst, also es ist nicht so, dass man wegguckt oder sagt „mit der will ich nichts mehr zu tun haben“. Obwohl wir zum Beispiel bei den Berufungskommissionen – deren Vorsitz wurde meistens von einem Professor wahrgenommen -, die hatten meistenteils ihr Netzwerk, wo sie bestimmte Kandidaten bevorzugten, je nachdem waren wir als Gleichstellungsbeauftragte dabei und mussten eine Stellungnahme dazu abgeben. Und durchaus wurden auch Stellungnahmen von uns abgegeben, die nicht damit übereinstimmten. Aber letztendlich entschieden hat das Ministerium dann. Insofern kann ich sagen, man muss das weiterreichen.
Als wir einmal den „Girls Day“ in Angriff nahmen, da haben wir erst mal 14- bis 15-jährige Schülerinnen von einem reinen Mädchengymnasium eingeladen, entsprechende Studiengänge kennen zu lernen, Mathe, die Naturwissenschaften und die technischen Fächer. Wir hatten dann eine Diskussionsrunde, in der sich die Mädchen direkt am Anfang meldeten und sagten: „Ist ja schön, aber warum macht ihr das nicht für Jungs? Warum kriegen die so was nicht extra noch mal angeboten?“ Wo ich dachte, die Jungs würden nie darauf kommen, so etwas für die Mädchen zu fordern. Aber die Frage wurde immer wieder gestellt. Also, da bleibt einem wirklich die Spucke weg. Oder ist das dieses typische „Frauen sich sorgen um das Wohlergehen der Anderen“? Schon verrückt.

Wann hast du dich zum ersten Mal bewusst als Feministin gefühlt oder bezeichnet? Gab es einen Auslöser dafür?

Grundsätzlich bin ich ein Mensch, der für Gerechtigkeit kämpft. Das zieht sich bei mir grundsätzlich durch. Als unsere Tochter zum Beispiel in der Schule mal Probleme hatte, bin ich wirklich auf die Barrikaden gegangen. Ich kann das nicht haben, Ungerechtigkeiten zu erleben. Das hat vielleicht noch nicht mit Mann – Frau zu tun, weil an und für sich habe ich das persönlich so nicht erlebt. Von klein auf bin ich mit meinem Vater draußen zum Sägen gegangen, wurde also nicht als Mädchen in dem Sinne behandelt, das ging genau so, als wäre ich ein Junge. Im Studium, da waren wir zwei Frauen mit ungefähr 60 studierenden Männern. Da ist mir das aber auch noch nicht so bewusst geworden. Ich glaube, das kam erst, als ich merkte, man kommt einfach nicht voran, obwohl man alles konnte. Ich als Frau konnte studieren, ich konnte das Gymnasium besuchen, ich konnte das alles machen, aber dann nachher die Positionen zu bekommen… Man denkt, man hat eine gute Ausbildung, und dann stellt man fest: Da scheint eine Ungerechtigkeit zu sein. Und da muss man sich für einsetzen, dafür muss ich dann als Frau aufstehen und sagen: verändert was. Erst Mitte der 80er Jahre hörte man das auch von anderen, „eigentlich haben wir einen guten Abschluss, aber wir bekommen nachher nicht die Positionen und können gar nicht aufsteigen“. Und dadurch, dass man das hier in einem Wissenschaftsbetrieb immer noch so erlebt, ist es nach wie vor erforderlich, dass da was getan wird und noch verstärkt getan wird.

Wie steht deine Familie zum Feminismus?

Als unsere Tochter kleiner war, als Schülerin, fand sie das gar nicht gut, wie ich mich engagiert habe. Das hat sich wohl auch gewandelt. Das kam bei ihr aber auch erst, als sie dann im Beruf stand. Wo sie merkte, als Frau werde ich doch wieder in die zweite Reihe geschubst. Mein Mann fand das immer gut, dass ich politisch tätig war und dann noch mal speziell in der ASF. Das hat der durchaus immer unterstützt.
Meine Mutter ist eine ziemlich starke Frau, die mich und meine Schwester immer unterstützt hat. Da kam nie der Ausdruck: „Ach, was sollst du studieren, heiratest ja dann, brauchst gar kein Studium zu absolvieren“. Die hat eher gesagt: „Du musst auf eigenen Beinen stehen können, ihr müsst das machen, was ihr wirklich machen wollt und tun könnt.“ Meine Mutter wird jetzt 97. Sie hat in ihrer Brieftasche ein Foto von mir, als ich hier in Aachen für den Stadtrat kandidiert habe. Ich dachte, ach, das gibt es doch gar nicht, es gibt ja genug Fotos aus dem Privaten, aber ausgerechnet das hat sie in ihrer Brieftasche! Und mein Vater, der ist jetzt schon länger tot, aber allein die Tatsache, dass er uns nicht immer nur als Mädchen behandelt hat, zeigt, dass das von ihm auch so gelebt worden ist.

Fühlst du dich in deinem Alltag gleichberechtigt?

Mein Mann ist leider seit ein paar Jahren erkrankt. Früher ging er sehr gerne einkaufen, weil ich das nicht gerne gemacht habe. Das war schon so verteilt, was jeder gern machte, machte er. Bei ihm waren das unter anderem die Frauentätigkeiten einkaufen, auch mal kochen. Insofern gab es auch keine große Diskussion, das ergab sich dann so. Das hat sich aber in den letzten Jahren gewandelt, weil er es jetzt nicht mehr körperlich kann.
Im politischen Bereich versuchen wir unter anderem durch eine Quote, dass die Frauen nicht hintenüberfallen. Das ist auch erforderlich, denn nach wie vor drängen die Männer nach vorne und wollen die Frauen beiseite schieben. So können wir dann sagen: „Aber wir haben die Quote“. Und da muss man dran halten, es sei denn, es ist keine Frau da, die kandidieren möchte.In dem Universitätsalltag habe ich von verschiedenen Vorfällen gehört. Wenn etwa eine Studentin etwas zu spät in eine Maschinenbau-Vorlesung reinkommt und der Professor, meistens ist es ja ein Professor, sagt: „Ach, Sie haben es wohl nicht nötig, oder was hat Sie aufgehalten?“ Wo man also noch mal extra präsentiert wird. Wenn da die Jungs zu spät kommen, macht man das nicht. Einfach, weil die Studentinnen da so eine kleine Menge sind. Männliche und weibliche Studierende sollten aufmerksamer miteinander werden, von beiden Seiten her. Und Fragen, die vielleicht wir Frauen zu bestimmten Themen anders stellen als die Männer – was auch wissenschaftlich bewiesen ist – dass man da nicht sagt, „um Gottes Willen, typisch Frau wieder die Frage“, sondern eher sagt: „Oh, so hab ich das überhaupt noch nicht gesehen“.
Wir hatten das Glück, dass wir auch eine studentische Vertreterin hatten, die auf gleicher Höhe Problemlagen entgegennehmen konnte. Denn durch das Alter und die Position hatte ich ein bisschen Abstand, insofern war das als Einstieg für eine Problemschilderung gut geeignet. Unsere Stellvertreterinnen haben das dann auch gut geschildert und gesagt: Da müsst ihr aktiv werden, da müsst ihr mit dem Rektorat oder mit dem Dekan sprechen. Das wurde durchaus schon so gesehen. Es gab aber auch mal Beschwerden, dass man nicht so ohne weiteres wieder aus dem Zimmer kam, wenn man mal bei dem Professor war. Das wurde aber dann im Seniorat auch entsprechend bearbeitet und entgegengenommen. Mit den Jahren sind auch alle sehr, sehr, sehr hellhörig geworden.

Wie nimmst du den Ruf des Feminismus in Deutschland wahr?

Ich sehe den Feminismus jetzt etwas eingeschlafen, der müsste neu belebt werden. Vor einigen Tagen habe ich im Radio gehört, dass die Zeitschrift Emma jetzt 30 oder 40 Jahre alt geworden ist, hat aber mittlerweile eine geringere Auflage. Früher war das fast so ein Standardwerk, was man als Frau gelesen hatte oder man diskutierte über einzelne Artikel. Erlebe ich jetzt gar nicht mehr, dass man mal so drüber spricht. Das hat sicher auch was mit dem Alter zu tun. Wahrscheinlich macht man jetzt mehr im Internet. Ich kann über die Augen viel besser etwas wahrnehmen und wenn ich irgendwo ein Poster sehe oder Zeitschriften mit einem gut aufgemachten Cover, fällt mir das viel mehr ins Auge, als wenn ich im Internet bin. Oder man müsste irgendwelche Übersichtsseiten haben, damit ich, wenn ich morgens den PC hochfahre, etwas wie ein Kiosk hätte. Dass ich da sehe, das ist jetzt aktuell. Klar, ich lese auch, aber nur einzelne Artikel bei Spiegel Online oder aus der Zeit. So Pinkstinks ist ja auch noch im Internet.
Vielleicht waren es früher auch noch andere Sachen, die uns Frauen bewegt haben, also die Abschaffung des §218, verschiedene andere Einführungen von Gesetzen, die die Frauenrechte gestärkt haben. Vielleicht denken wir Frauen, wir sind gleichberechtigt, deswegen ist der Feminismus nicht mehr so vordergründig. Aber darin sehe ich letztendlich die Gefahr, dass dann wieder ein Rollback ist.

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