Ann Heinen

Alter: 27 Beruf: Studentin der Geschichtswissenschaft Wohnort: Aachen Geburtsort: Aachen

Warum hast du diesen Ort für dein Foto ausgewählt?

Es gibt noch einen großen Diskussionsbedarf, was die Gleichstellung in der Wissenschaft angeht. Vielleicht liegt es daran, dass viele Professoren aus einer anderen Generation kommen. Es herrscht das Vorurteil, dass Frauen, die auf ihr Äußeres achten, damit Zeit verlieren, die sie auch in die Arbeit investieren könnten.
An Frauen wird hier ein anderes Maß angelegt; oft werden Männer bevorzugt, weil die Frauen nach dem Bachelor Familien gründen würden. Rund 56 Prozent der Studierenden in der Geschichtswissenschaft sind im Bachelorstudiengang Frauen, im Master oder in einer Promotion sind es dann aber rund 70, 75 Prozent Männer.
Auch bekannte Historiker sind meistens Männer, jeder kennt zum Beispiel Guido Kopp. Meiner Meinung nach liegt das daran, dass überwiegend Männer den Mut haben, steile Thesen zu formulieren und kontrovers zu diskutieren. Frauen preschen da weniger vor, auch weil es diese Doppelmoral gibt: Wenn ein Mann umstrittene Forschung veröffentlicht, ist er mutig, eine Frau hat in dem Fall einfach nicht gut genug recherchiert. Wenn du als Frau in der Geschichtswissenschaft auffallen willst, muss alles stimmen, muss alles perfekt sein.
Ich habe nicht oft direkten Sexismus erlebt, aber einmal ist mir in Erinnerung geblieben: In einem Seminar sagte ein Dozent, dass die Frauen sich doch überlegen sollten, ob sie an der Uni richtig sind oder lieber zuhause Kinder kriegen sollten. Das war in einem Seminar, in dem außerdem etwa 60 Prozent der Anwesenden Frauen waren, einfach unangemessen. Es gibt aber auch viele, die wahrnehmen, wie du bist, nicht, welches Geschlecht du hast. Da geht es einfach darum, was du für eine Leistung bringst.

Was ist Feminismus für dich?

Feminismus ist für mich die Gleichstellung aller Menschen, unabhängig von Geschlecht, Sexualität, Herkunft und Aussehen. Das entspricht wohl weitgehend der gängigen Definition, die sich auch im Lexikon finden lässt. Über diesen theoretischen Aspekt hinaus ist Feminismus für mich allerdings auch ein Lebensgefühl, ein Bewusstsein des eigenen Geschlechts und der gesellschaftlichen Rolle, die man einnehmen möchte. Aber vor allem ist es die Abwesenheit von einer irrationalen Angst, die sich darum dreht, irgendetwas zu verlieren, insofern man nicht andere Menschengruppen unterdrückt und ausgrenzt.

Wie äußert sich dein Feminismus?

Meine Auslegung von Feminismus geschieht im Grunde auf zwei Ebenen: Einerseits auf einer nach innen gerichteten, auf mich selbst bezogene Art. Andererseits durch meine Außenwirkung, durch die Gedanken, die ich äußere und meine Weise, in diesem Themenbereich auf andere zuzugehen.
Keine von beiden Ebenen ist dabei einfacher oder komplexer als die andere. Eigentlich stehen sie sogar in recht starker Wechselwirkung und beeinflussen sich immer wieder gegenseitig.
Ich setze mich mit dem Thema Feminismus immer wieder auseinander, im Grunde reflektiere ich das jeden Tag, was auch bedeutet, dass ich mich, meine Gedanken und meine Handlungen reflektiere. Was ich daraus für mich gelernt habe, ist, dass es nicht „den einen“ Feminismus gibt, also den einen Weg, Feminismus zu leben, wie eine Feministin auszusehen oder sich wie eine zu verhalten. Ich kann Kleider tragen und mich schminken, davon geschmeichelt sein, dass mir ein Mann die Türe aufhält und ich kann auch weinen. Ein klassisches Bild von Weiblichkeit – wenn man es denn so nennen mag – macht mich nicht weniger zur Feministin. Ebenso könnte ich meinen Kopf rasieren, Tattoos am ganzen Körper haben und Motorrad fahren. Oder eine Kombination aus alldem leben. Oder gar nichts davon.
Menschen neigen dazu, Äußerlichkeiten inneren Werten voranzustellen. Du trägst eine Hose und kurze Haare? Dann bist du ein Mannsweib. Du trägst Schminke und Kleider? Dann musst du eine hilflose Frau sein. Aber diese Assoziationen sind falsch und wir sollten uns dagegen wehren, von ihnen unseren offenen Geist vergiften zu lassen.
Doch gerade mit einem Blick in die Universität und den Umgangston, der in der Wissenschaft herrscht, muss ich immer wieder feststellen, dass sich dieses Denken tief in den Köpfen der Menschen verankert hat. Legst du als Frau Wert auf dein Aussehen, dann hast du es schwerer, ernst genommen zu werden, gemäß dem Motto: Wer Zeit hat, sich zu schminken, der hat kostbare Zeit zum Arbeiten vergeudet.
Im Humanismus ging man davon aus, dass Frauen, die den Intellekt zu Wissenschaft und Forschung besaßen, ihr Geschlecht überwunden hatten. Sie galten also nicht mehr als „richtige“ Frauen. Die Möglichkeit zur Habilitation von Frauen gibt es in Deutschland erst seit 1920, das war kurz vor der Geburt meiner Großeltern. Für mich ist Bildung etwas so normales, alltägliches, dass es sich seltsam anfühlt darüber nachzudenken, dass meine Laufbahn noch vor 100 Jahren kaum denkbar gewesen wäre. Und viele Menschen scheinen sich in diese vermeintlich „einfacheren“ Zeiten zurückzusehen. Zeiten, in denen Männer kernige Kämpfer waren und das Sagen hatten. Zeiten, in denen Frauen das Haus und die Kinder hüteten und keine Fragen stellten. Doch diese Zeiten hat es nie gegeben, Frauen haben schon immer die Stimme erhoben und sich für ihre Rechte eingesetzt. Zum Glück, möchte ich hinzufügen.
Unsere Gesellschaft – so offen und frei sie sich auch geben mag – ist in vielen Bereichen noch immer so spießig, wie sie es in den 1950ern war. Du bist eine Frau? Dann musst du natürlich Kinder bekommen! Verspürst du nicht den Wunsch danach, dann wirst du als spätpubertär abgetan. Dann hast du nur den Richtigen noch nicht gefunden. Dann sagst du das vielleicht jetzt, aber in ein paar Jahren wirst du deine Meinung selbstverständlich geändert haben. Du bist schließlich eine Frau und kannst keinen größeren Wunsch verspüren.
Darüber solltest du aber niemals vergessen, Karriere zu machen, zu studieren und das bitte mit den besten Noten. (Nur Karriere zu machen, ohne Kinder zu kriegen, zählt nicht, das ist selbstsüchtig!) Und dann steht natürlich das wichtigste Projekt von allen an: Den richtigen Mann fürs Leben finden, denn wie könntest du ohne einen Partner auch glücklich sein? Du bist schließlich eine Frau und willst nichts dringender in deinem Leben, als möglichst schnell Kinder zu bekommen.
Sind die Kinder einmal da, muss jeder dein Glück sehen können. Das Kind hat mit vier Jahren sechs Sprachen zu sprechen, denn was für eine Mutter wärst du sonst? Doch vergiss nicht, arbeiten zu gehen und selbstständig zu bleiben!
Und ganz wichtig: Wenn du gut aussiehst, dann präsentiere dich bitteschön freizügig und zeige deinen Körper! Da kommen dann auch gerne die selbsternannten Retter den Abendlandes, um dich vor dem „bösen Muselmanen“ zu retten. Entsprichst du nicht dem gängigen Schönheitsideal, dann solltest du dich allerdings bitte bedecken, am liebsten gar nicht zeigen. Wer will das schon sehen?
Ach ja, siehst du gut aus und gerätst in eine Situation, die mit dem Hashtag #metoo gekennzeichnet werden könnte, dann bist du es selber Schuld. Wer so viel von sich zeigt, hat es schließlich nicht anders verdient. Nicht wahr?
Ich hoffe, dass die Ironie aus diesen Worten deutlich erkennbar ist und selbstredend wird diese Erwartungshaltung nicht von allen Menschen meiner Umgebung formuliert. Doch es ist der Konsens, der aus der gesellschaftlichen Diskussion hervorgeht. Sei feminin, aber wirke nicht schwach. Sei selbstbewusst, aber bitte nicht zu sehr. Sei Mutter, aber hab’ Arbeit, Karriere und eigenes Leben. Optimiere dich selbst!
Das Bewusstsein darüber, dass man diese Erwartungshaltung einfach ablehnen kann, fehlt vielerorts.
Aufgrund dieses Bewusstseins hat sich auch meine Außenwirkung geändert. Ich habe keine Angst mehr davor, meine Stimme zu erheben, wenn in meiner Umgebung Unrecht geschieht oder wenn ich widersprechen möchte. In Situationen, in denen ich heute ganz selbstverständlich eingreife, hätte ich früher nur verschüchtert daneben gestanden und Angst gehabt, durch eine Einmischung in Schwierigkeiten zu geraten. Ein gutes Beispiel dafür ist eine Begegnung, die ich erst in der letzten Woche gemacht habe: Bei einem Spaziergang durch die Heidelberger Fußgängerzone passierte ich eine Bettlerin, die am Straßenrand saß. Direkt hinter mir lief eine junge Familie – Vater, Mutter und zwei Söhne. Als diese an der Frau vorbeigingen, verkündete der Vater lauthals: „Der gebe ich nichts. Soll sie doch anschaffen gehen, dann verdient sie ihr eigenes Geld. Sie wird schon irgendjemanden finden, der sie anfassen will.“
Diese Aussage hat mich so rasend wütend gemacht, dass ich das auch lauthals kundgetan habe. Enttäuschenderweise war ich diejenige, die schief angesehen wurde: Eine Frau, die sich gegen offen geäußerte sexistische Unverschämtheiten engagiert ist offenbar etwas, worüber man sich gemeinhin lieber empört, als über einen Sexisten. Machst du den Mund auf, bist du eine „hysterische [sic!] Feministenschlampe“, hältst du deinen Mund, bist du selber Schuld, wenn dir Unrecht geschieht. Die Quintessenz lautet: Du kannst es niemandem recht machen. Sei Feminist*in, steh für deine Werte ein, mach den Mund auf, sei selbstbewusst, lass dir Ungerechtigkeiten nicht bieten, steh für deine Freiheit ein!

Wann hast du dich zum ersten Mal bewusst als Feministin gefühlt? Gab es einen Auslöser?

Ich habe mich lange Zeit tatsächlich geweigert, zu sagen, dass ich eine Feministin bin. Das hatte nichts damit zu tun, dass ich anders über Gleichbehandlung gedacht hätte, als heute. Vielmehr lag es gar nicht in meiner Gedankenwelt, über irgendein Ungleichgewicht zwischen Geschlechtern, Nationalitäten oder Sexualitäten nachzudenken. Für mich war es einfach selbstverständlich, dass es da nichts zu diskutieren gibt und alle gleichwertig sind. Zu dieser Zeit bedeutete Feminismus in meinen Augen, ein Problem zu diskutieren – also die fehlende Gleichheit dieser Gruppen – das gar nicht existierte. Das war selbstredend ein naiver Gedankengang und heute sehe ich, dass ich meine Einstellung leider nicht mit allen Menschen teile. Aus diesem Grund muss die Benennung des Problems und ein kontinuierliches Streben nach einer Lösung geschehen.
Einen Zeitpunkt, zu dem ich das erkannt habe, kann ich allerdings nicht benennen. Es war eher ein schleichender Prozess als ein plötzliches Ereignis.

Wie steht deine Familie zum Feminismus?

Ich habe das große Glück, in einer Familie zu leben, die den Feminismus nicht nur akzeptiert, sondern ihn auch lebt. Meine Eltern haben mir von klein auf beigebracht, dass ich alles werden kann, was ich will. Das ich im Leben zielstrebig und fleißig sein soll, um meinen Weg zu finden. Es war niemals die Rede von „du bist ein Mädchen, also…“ oder „du kannst das nicht, weil du kein Junge bist“.
Ich konnte Hosen und Röcke tragen, mit Autos spielen und auch mit Barbies, mich für Mathe und Technik interessieren (was ich allerdings nie getan habe) oder für Kunst und Tanz. Die gerade aufgezählten Aspekte werden ja gerne in typisch Mädchen oder typisch Junge aufgeteilt, aber solche Gedankenwelten habe ich erst später – außerhalb meiner Familie – kennengelernt.

Fühlst du dich in deinem Alltag gleichberechtigt?

Ich fühle mich in Deutschland durchaus gleichberechtigt – was angesichts der rechtlichen Lage auch nicht verwundern dürfte. Ein Gefühl der Gleichstellung macht sich hingegen nicht immer und überall bemerkbar. Ich denke, dass wir noch einen weiten Weg vor uns haben, bis Frauen in unserem Kulturkreis tatsächlich gleichgestellt sind – von einer globalen Gleichstellungsidee wage ich derzeit gar nicht zu träumen. Vermutlich liegt dieses Versäumnis darin begründet, dass eine reale Gleichstellung in den Köpfen der Menschen keimen muss und nicht durch Gesetze erzwungen werden kann.
Das Stichwort lautet Alltagssexismus und diesen kann man wohl kaum durch Zwang beseitigen, als vielmehr durch Aufklärung und anhaltenden Diskurs. Das klingt anstrengend und ist es wohl auch. Wo liegt die Grenze zwischen „zotigem Herrenwitz“ und Sexismus? Da empfindet jeder anders und gerade Personen, die sich derartigen Sprüchen niemals ausgesetzt gesehen haben, haben oft eine wahnsinnig hohe Toleranzgrenze.

Wie nimmst du den Ruf des Feminismus in Deutschland wahr?

Obwohl wir in einem der liberalsten und wohlhabendsten Ländern dieser Welt leben – wir also verwöhnt sind von Luxusgütern wie Frieden, Bildung und einem sozialen Auffangnetz – und somit die ideale Grundlage vorfinden, gesellschaftsphilosophische Debatten wie die des Feminismus zu führen, finden diese Auseinandersetzungen nur in einem äußerst kleinen Teil unserer Gesellschaft wirklich statt. Oder schlimmer: Der Feminismus wird verteufelt als hysterische Laune einiger weniger, abgetan als unnötig, da eine rechtliche Gleichberechtigung ja bereits stattfindet.
Um den Kern des Problems zu erkennen, bedarf es in meinen Augen eines gewissen Maßes an Reflektion, zu der viele nicht bereit sind. Und diese Trennung zwischen, ich nenne es mal „feministischem Verständnis“ und fehlendem „feministischen Verständnis“, verläuft nicht stringent zwischen Bildungsschichten, Hartz IV-Empfänger und Bankmanager oder Mann und Frau. Jeder hat die Möglichkeit darüber nachzudenken, nur wenige nutzen sie jedoch.
Unterm Strich gibt es also eine verhältnismäßig kleine Gruppe, die immer wieder, stringent und beharrlich, daran arbeiten, dass die Fortschritte, die der Feminismus im letzten Jahrhundert gemacht hat, beibehalten werden. Dass das, was wir heute als selbstverständlich wahrnehmen, nicht in Vergessenheit gerät.
Wie das von der Gesellschaft beurteilt wird, ist eine äußerst gute Frage. Ich habe gemeinhin das Gefühl, dass es in Deutschland nicht den einen Ruf des Feminismus gibt. Gerade in heutigen Zeiten, in denen rechtsextreme Kräfte wie die AfD und ihre Anhänger die Möglichkeit bekommen, das reaktionäre Frauenbild längst vergangener Zeiten und ihren Hass gegen Homosexuelle, Intellektuelle und ganze Ethnien erneut in die Köpfe der Menschen zu säen, werden auffällig viele Stimmen laut, die den Feminismus am liebsten heute noch abschaffen und ihre Anhänger direkt beseitigen würden.
Abseits des Internets, in denen sich viele ja in der vermeintlichen Anonymität ihrer Accounts in den sozialen Medien sehr ausfällig äußern, scheint mir der Diskurs jedoch weitgehend gesitteter. Das ist allerdings die Erfahrung einer jungen Frau, die in einer Stadt voller Studenten lebt – und das ist eine gesellschaftliche Gruppe, die i.d.R. ausreichend aufgeklärt und gebildet ist, um keine Angst vor Gleichstellung und Gleichberechtigung zu haben.

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