Arthur Schippert

Alter: 33 Beruf: Selbstständiger Grafikdesigner Wohnort: Köln Geburtsort: Songkla, Thailand

Warum hast du diesen Ort für dein Foto ausgewählt?

Das Restaurant hat mit meiner Jugend, mit meiner Erziehung zu tun. Meine Eltern haben sich relativ früh getrennt, danach war meine Mutter alleinerziehend. Sie kam damals aus Thailand nach Deutschland und keine ihrer Ausbildungen wurde anerkannt. Sie hat dann ein Restaurant eröffnet. Nebenbei musste sie sich darum kümmern, dass ich und mein Bruder zur Schule gehen, dass wir zu essen haben, dass der Haushalt gemacht wird und wir die Sprache lernen. Sie musste mich erziehen und Geld verdienen und das auch noch in einem Gewerbe, das eigentlich von Männern dominiert wird.

Was ist Feminismus für dich?

Feminismus ist ein Wort, das es hoffentlich bald nicht mehr gibt – es ist ein Arbeitstitel. Das ist ein Prozess: Man ist auf dem Weg irgendwohin. Irgendwann kommen wir hoffentlich an einen Punkt, an dem es nicht notwendig ist, sich als Feminist zu bezeichnen. Es sollte davon ausgegangen werden, dass man normalerweise kein Sexist ist und niemanden aufgrund seines Geschlechtes diskriminiert. Das ist so ähnlich wie mit dem Rassismus. Man muss sich nicht mehr als Anti-Rassist engagieren, um klar zu machen, dass Rassismus eine abscheuliche Ideologie ist. Das ist im öffentlichen Bewusstsein angekommen. Es gibt zwar immer noch Rassisten, aber sie werden geächtet und zu Recht am Rand der Gesellschaft positioniert. Deswegen – Feminismus ist ein Arbeitstitel für den Prozess. Als Mann kann man auch nicht im gleichen Maße Feminist sein: Man kann sich für Geschlechtergleichstellung und Emanzipation einsetzen, aber ich werde nie erfahren, wie es ist, einen Tag als Frau zu erleben. Deswegen ist meine Position eine andere. Ich bin kein Teil der Bewegung. Ich kann diesen Missstand aber anklagen.

Wie äußert sich dein Feminismus?

Ich finde, wenn man als Mann aufgewachsen ist, mit den Privilegien und diese typische Pubertät durchmacht mit diesem Geltungsbedürfnis, da verliert man oft den Blick für das, was um einen herum passiert. Mein Feminismus äußert sich dadurch, dass ich das viel bewusster wahrnehme, wenn ich zum Beispiel ausgehe. Ich finde nicht, dass Frauen immer schutzbedürftig sind. Aber wenn es sexistische Übergriffe gibt, sei es körperlich oder verbal, wenn bei Geschäftsmeetings die Frau übergangen wird, wenn die Frau im Club zum „Freiwild“ wird, dann rufe ich das aus, klage das an. Auch im Alltag mit Freunden, wenn ein Freund etwa eine Kellnerin als „Alte“ bezeichnet. Ansonsten bleibt nicht viel zu tun, außer das zu sagen, und dabei entspannt zu sein und zu hoffen, dass andere mitmachen.

Wann hast du dich zum ersten Mal bewusst als Feminist gefühlt oder bezeichnet? Gab es einen Auslöser dafür?

Es gab zwei Phasen: Die erste Phase war relativ früh in meiner Kindheit. Ich habe gesehen, wie meine Mutter sich mit ihren Partnern streiten musste, damit sie das Restaurant weiterführen kann: Die Männer haben gesagt, sie greifen uns unter die Arme, meine Mutter müsse nicht mehr arbeiten, sie könne das Restaurant sein lassen. Sie würden für das Einkommen sorgen und wollten damit quasi meine Mutter in diese Hausfrauenrolle drängen. Die meinten, nur, weil sie einen Lebensabschnitt mit ihr verbringen, könnten sie ihr vorschreiben, wie sie zu leben hat, weil es eher in ihr Bild passt. Ich fand das unglaublich scheiße, ich war total stolz darauf, dass sie das Restaurant hatte. Was ist, wenn sie arbeiten möchte?
Und das zweite Mal war vielleicht vor acht Jahren, da hab ich von diesem Bechdel-Test (Anm.: ein Test, um Stereotypisierungen weiblicher Figuren in Spielfilmen wahrzunehmen und zu beurteilen) gelesen. Und da wurde mir zum ersten Mal bewusst, wie das ist. Dass es einfach nicht mehr wahrgenommen wird, wie lächerlich Frauen im Film inszeniert werden. Da wird die weibliche Hauptrolle vorgestellt und dann tritt sie auf in so einer Zeitlupenszene mit lasziver Musik. Das ist absolut absurd und es kommt heutzutage trotzdem so oft vor! Die Leute beschweren sich über unrealistische Plots und wenn etwas fragwürdig ist. Ich frage mich dann: Wieso benimmt sich diese Frau so dämlich? Da hab’ ich mich mal mit auseinander gesetzt. Denn durch die Massenmedien beeinflussen diese Dinge das Verhalten von allen.

Wie steht deine Familie zum Feminismus?

Im Grunde habe ich nur zwei Personen, die meine engere Familie sind. Mein Bruder hat dieses klassische Familienmodell. Er arbeitet, sie ist zu Hause, zwei Kinder. Ich würde trotzdem sagen, dass diese Beziehung sehr gleichberechtigt ist, obwohl seine Frau in dieser klassischen Rolle ist. Sie hat auch studiert, würde mit ihrem Fach – Kunstgeschichte – aber weniger verdienen. Die pragmatische Entscheidung ist, dass er das Geld verdient und sie nicht arbeiten zu gehen braucht. Aber ich würde sagen, die sind als Paar sehr emanzipiert. Meine Mutter, paradoxerweise, hält nichts vom Feminismus. Das liegt nicht daran, dass sie keine Feministin ist, sie ist eine, ganz unbewusst, aber sie ist so konservativ, dass sie sich vorstellt, dass eine Feministin eine Frau mit Dreadlocks ist, die mit einem Protestschild auf der Straße steht und nicht arbeiten geht. Früher hat sie so Dinge gesagt wie: „Diese Emanzen können irgendwann Danke sagen, wenn sie deswegen auch zum Wehrdienst müssen.“ Aber sie ist trotzdem selbstbestimmt und durch und durch Feministin und lässt sich auf keinen Fall diskriminieren. Für sie ist das Wort negativ behaftet, obwohl es für etwas steht, dass sie selbst jeden Tag lebt. Mir selbst geht das Wort ja schwer über die Zunge, weil es etwas betitelt, das eigentlich keinen Titel brauchen sollte.

Gibt es in deinem Alltag Gleichberechtigung?

Wenn ich an meinen Beruf denke, auf keinen Fall. Als ich noch in der Werbebranche gearbeitet habe, waren es die Männer, die besser bezahlt wurden, Projekte leiteten, Führungspositionen hatten und schneller aufgestiegen sind. Und das obwohl der Großteil der Absolventen im Bereich Gestaltung/Kommunikationsdesign Frauen sind. Das liegt wohl an den vermeintlich maskulinen Tugenden, Dinge wie: Wenn du es im Job zu etwas bringen willst, musst du tough sein, dich durchkämpfen. Ist in vielen Bereichen sicher so. Jetzt im Moment, da ich selbstständig bin und Leuten zur Selbstständigkeit verhelfe, ist es schon eher so: Wenn sie ihr Ding machen, machen sie ihr Ding, und es sind viele Frauen dabei. Ich behandle Frauen auf keinen Fall anders als Männer. Es geht immer nur um die Idee, die Leistung, das Konzept. Da bin ich schon Feminist.
Und im sonstigen Alltag: Manchmal hab’ ich das Gefühl, dass Freunde von mir, die Feministen oder Feministinnen sind, ihre Argumente in die andere Richtung benutzen. Ich finde falsches Verhalten, unfaires Verhalten sollte man anprangern, aber nicht männliches Verhalten, wie beispielsweise das breitbeinige Sitzen. Das ist nicht prollig, sondern das ist anatomisch bedingt, jedenfalls bei den meisten. Ich zumindest will da nicht in dem Moment ein Alphamännchen sein. So was finde ich dann scheiße, das ist nicht „wir gegen euch“, sondern wir zusammen gegen das Problem. Das ist kein gutes Argument für den Feminismus, schlechtes Verhalten von Männern und männliches Verhalten anzuprangern; sexistisches Verhalten, keine Frage, aber maskulines verallgemeinern – kontraproduktiv. Das sind die Dinge, die Leute, die zuhören sollten, dazu bringen, nicht mehr zuzuhören.

Wie nimmst du den Ruf des Feminismus in Deutschland wahr?

Ich glaube, er hat einen schlechten Ruf, da Feminismus zu sehr auf bestimmte Menschen, Vorreiter, personalisiert wird. Er ist keine homogene Bewegung, da er wie eine politische Partei behandelt wird: Leute besetzen die Führungspositionen und in den Medien sieht man meistens dieselben vier oder fünf Gesichter, wenn es um Feminismus geht. Gleichzeitig werden Feminismus, Rassismus oder Sexismus oft gegeneinander ausgespielt. Zum Beispiel die Probleme gerade hier in Köln. Am Bahnhof, sexuelle Übergriffe, Karneval: Standard. Ist kein Ding, Karneval, da gehört es irgendwie dazu. Gibt es dann sexuelle Übergriffe von Flüchtlingen oder von Ausländern, da sagt man: Ihre Scheiß-Kultur, die ist super sexistisch; dieser scheinheilige Feminismus, der da dann von solchen Rassisten plötzlich benutzt wird. Der Ruf ist nicht gut, deswegen sage ich, man sollte es anders nennen: Man sollte es „Gleichberechtigung” nennen, „Gleichstellung”, „frei von Sexismus“, „liberal”, es gibt so viele Wörter, die man nicht mit Alice Schwarzer assoziiert. Nicht, dass sie schlechte Sachen macht, aber keine Person sollte größer als die Sache sein, denn menschliche Verfehlungen wirken sich schnell auf die Sache aus. Es geht halt immer um einen Konsens, wie man die Masse dazu gewinnt, das zu akzeptieren. Um den Dialog nicht mit Fronten zu verhärten, würde ich vielleicht erst auf den Begriff Feminismus verzichten, denn er unterstellt einem eine gefestigte Position. Das ist der Klang, den man mit dem Feminismus verbindet, in Deutschland. Ich nicht, aber ich hör’ das oft.
Und: Das Wort Feminismus stellt Frauen Männern gegenüber oder umgekehrt. Feminin, maskulin, das lässt dann keinen Raum für Menschen, die sich nicht darin wohlfühlen. Seien es Homosexuelle, Transsexuelle, irgendwas dazwischen, ist man im Körper eines Mannes und ist lieber eine  Frau oder ist man im Körper eines Mannes und ist eine halbe Frau oder man ist beides auf einmal. Dafür bleibt kein Platz, deswegen wäre vielleicht etwas Offenes besser. Ich muss noch mal darüber nachdenken. Ich komme aus Thailand, einem Land wo Transsexualität einfach weitläufig anerkannt ist und nicht diskriminiert wird. Darüber hinaus gibt es mehr nuancierte und griffigere Bezeichnungen für die sexuelle Orientierung als im Deutschen. Geschlechter sind nicht binär. Es gibt Menschen dazwischen, diese werden im klassischen Geschlechterkampf diskriminiert. Sie fühlen sich nicht zugehörig, weil man ihnen das Gefühl gibt, zwischen männlich und weiblich unterscheiden zu müssen.

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